1958 Alles auf Anfang: Berlin-Kreuzberg

Der Muff der 50er Jahre mit unsinnigen Regeln hing in den Köpfen. Meine Eltern waren Flüchtlinge, alles war knapp in der Familie. Mein Ausweg waren die Bücher, die Stadtbibliothek mein Paradies. Zur Schule ging ich gern, das fühlte sich nach Hoffnung an.
1970 Die große Freiheit: Berlin-Neukölln und weiter

Endlich machen, was ich wollte, inklusive vieler Dummheiten. Zum Glück die Kurve gekriegt zum Abitur. Diverse Jobs, viel gefeiert, und das Studium hatte auch noch Platz. Der Abschluss als Diplom-Bibliothekarin brachte ein bisschen Struktur in die wilde Welt. Der Beruf sollte auf alle Fälle was mit Büchern und Menschen zu tun haben.
1983 Aufbruch in die Welt: Athen

Schon im Studium hatte ich mich verliebt in Griechenland, bin dorthin gereist und habe die Sprache gelernt. Also wurden gleich nach dem Studium die Koffer gepackt. Nach dem Sommer auf der Insel fand ich sogar einen Job in Athen. Und meine beste Freundin für immer. So fing es an mit dem Goethe-Institut, und dem Leben im Ausland. Nach drei Jahren war Athen eine Sackgasse, also Zeit zum Loslassen. Das tat damals weh, aber es war der Start in mein Leben voller Abenteuer.
1988 Das echte Glück gefunden: Ankara

Ankara war nicht der Sehnsuchtsort, aber der erste feste Job führte mich dorthin. Es war ein gutes Training zum Ankommen in einer völlig fremden Stadt. Dazu ein neuer Job mit Verantwortung, die vierte Fremdsprache lernen, neue Freunde finden. Dabei habe ich das große Los gezogen und den Mann meines Lebens kennengelernt. Im Job war es ’Lernen durch Ausprobieren’, und im Sommer ging es an die Mittelmeerküste. 600 km sind wir damals in einem Stück gefahren, mit dem Surfbrett auf dem Dach durch Anatolien.
1992 Arbeit, Liebe, Fernbeziehung: Paris und Helsinki

Paris ist toll, aber allein? Der Mann in Helsinki, und das noch ohne WhatsApp, Zoom und Billigflüge. Aber es ging, die Arbeit im Goethe-Institut machte uns beiden Spaß und 1995 haben wir geheiratet. Unser Wahlspruch stammt aus dem Wappen der Stadt Paris: Fluctuat nec mergitur – Von den Wellen umhergetrieben, sinkt es dennoch nicht. Das Schulfranzösisch wurde aufpoliert.
1998 Plötzlich (Patchwork)Mutter: Tokyo

Die Kinder meines Mannes kannte ich schon, und nun zog die 16jährige Tochter zu uns. Das war für uns alle spannend, zumal in Tokyo. Dort kamen mein Mann und ich nach sechs Jahren Fernbeziehung wieder zusammen an einen Dienstort. Eine neue Sprache, neue Aufgaben, und an der Hand japanischer Freunde lernte ich ein faszinierendes Land kennen
2002 Auch Deutschland kann exotisch sein: München

Jeder Expat muss einmal in der Zentrale dienen. Als Berlinerin fand ich München exotisch: Oktoberfest, Viktualienmarkt, Skilanglauf im Isartal. München bedeutete mehr Verantwortung im Beruf und viele Dienstreisen. Dabei ging die Lust am Neuen nicht verloren. Nein, Bayrisch habe ich nicht gelernt. Sondern an der LMU Japanologie studiert, um die Geschichte und die Literatur Japans besser zu begreifen.
2007 Wieder nach Asien: Tokyo und Jakarta

Noch einmal Tokyo, nun verstand ich manches was zuvor nur fremd erschien. Das Sushi schmeckte immer besser, aber die nächste Versetzung eröffnete neue Horizonte. Indonesien, das waren Palmenstrände auf Bali, Tauchtrips in Papua und die Hauptstadt Jakarta mit 11 Millionen Menschen, Dauerstau und Smog. Vor allem aber großartige Autoren, Fotografen, Comiczeichner und unerschrockene Bibliothekare, mit denen ich zusammen arbeiten konnte.
2017 Zurück nach Europa: in Athen schließt sich ein Kreis

Irgendwann wurde das Leben in den Tropen anstrengend. Die Versetzung nach Athen war der gute Rückweg nach Europa. Mein Mann war schon in Rente, ich hatte noch einige Jahre. Dann kam die Pandemie, wir haben nachgedacht und nachgerechnet. Die Gesundheit und die gemeinsame Lebensqualität sind wichtiger als das Ausschöpfen der Berufsjahre. Also kam der Entschluß: ich höre mit 63 auf. Die nächste Übung im Loslassen.
2020 Ankommen im Heimathafen: Stralsund

Die letzten Arbeitsmonate im Home-Office, der (hoffentlich) letzte Umzug, und das Ankommen im neuen Heimathafen waren kompliziert in den Zeiten der Lockdowns. Aber die Ostseeküste und unsere neue Stadt gefällt uns immer besser. Es war ein guter Entschluss, hierher zu ziehen. Heimat ist am Ende, was man daraus macht.
Wirklich toll, auf diese Weise eine solche Übersicht über Deine Wege und Reisen zu bekommen, ich freue mich schon auf weitere Texte!
Lieber Marius, danke für die Ermutigung, ganz herzliche Grüße aus dem Norden!
(Fast) ein ganzes Leben – so treffend und so poetisch zusammengefasst. Das hört sich gut an.
Liebe Uschi, Dein Kommentar macht Mut zum weiter schreiben -danke und liebe Grüße. Bis bald!
Moin moin nach Stralsund! Danke, dass Du Deine Geschichte mit uns teilst, liebe Christel! Loslassen und im Heimathafen ankommen…das ist gerade auch mein Plan!