
Mein Jahresrückblick 2022
Es war ein gutes Jahr, trotz aller Krisen und Sorgen. Die Pandemie hat jetzt nachgelassen, aber zu Beginn des Jahres war mein Leben und Empfinden davon bestimmt. Wie alles Schlechte hatte es auch sein Gutes: das Ankommen im neuen Leben konnte langsam geschehen, ohne Druck und Hektik. Die Tür konnte in Ruhe betrachtet werden, bevor sie sich öffnete. Der Blick für Details wurde geschult.
Die großen Krisen hatten (und haben) leider kaum etwas Gutes: der Krieg fast nebenan weckt Ängste. Mut macht mir die Kraft vieler Menschen, entschieden zu reagieren und dem Überfall entgegen zu treten. Auch die junge Generation macht mir Mut, weil sie die Klimakrise ernst nimmt. Über einzelne Aktionen kann man streiten, aber der Schutz des Planeten und der Artenvielfalt sind nun ganz oben auf der Tagesordnung. Das war in den 1970/80er Jahren leider nur sporadisch der Fall.
Was hatte ich mir vorgenommen für das Jahr 2022, das erste vollständige Jahr in Rente und damit in Freiheit? Schreiben, Malen, Lesen und Reisen gehörten dazu. Und natürlich die Ostsee genießen.
Ankommen in Stralsund
Das zweite Jahr in Stralsund, noch immer regierte die Pandemie. Aber im Frühjahr nahm das kulturelle Leben Fahrt auf. Im Kunstverein Stralsund wurde ich freundlich aufgenommen und ermutigt, für den Vorstand zu kandidieren. Seit April bin ich die 2.Vorsitzende und organisiere mit den Vorstandskolleg*innen Vorträge, Exkursionen zu Ausstellungen und Besuche in Künstler-Ateliers. Die Vielfalt der Kunstszene hier im Norden überrascht. Auch die Webseite des Kunstvereins gehört zu den Aufgaben, eine schöne Herausforderung. Schritt für Schritt geht es voran.

Die schöne Stadt ist gut zum Leben, alles im Alltag Wichtige ist fußläufig zu erreichen. Am Sund entlang, um die Teiche oder am Hafen: überall gibt es schöne Wege am Wasser. Jeder Atemzug tut gut, nach vielen Jahren in großen Städten spüre ich täglich den Unterschied. Das Auto nutzen wir nur für Ausflüge, gern am „Rentnerwochenende“ Montag bis Freitag.
Immer wieder zieht es uns an den Strand, nach Rügen oder auf den Darß. Dafür sind wir schließlich an die Ostsee gezogen. Nicht nur im Sommer ist es dort schön. Das Hinterland hat ebenfalls viel zu bieten. Die Flüsse Peene und Recknitz führen durch weite Landschaften, kleinere Städte wie Loitz sind eine echte Entdeckung. Wir sind genau da, wo wir immer hin wollten.

Konzerte in kleinen und große Backsteinkirchen durften ebenfalls wieder stattfinden, es war ein Fest für die Ohren. Und für die Augen: mit fachkundiger Begleitung habe ich enorm viel gelernt über Gutshäuser, Denkmäler und historische Schätze. Und es gibt noch so viel zu entdecken.

Im Theater wurden wir Stammgäste. Oper, Konzerte, Schauspiel und Tanz: es wurde viel geboten, auf künstlerisch hohem Niveau. Nicht nur in Stralsund, auch in Greifswald und Putbus spielt „unser“ Theater. Einmal gab es dort sogar ein Dinner auf der Bühne, die Musiker spielten im Zuschauerraum. Unvergeßlich. Wir lernten viele nette und interessante Menschen kennen, und bekamen Besuch von Freunden aus Berlin und Süddeutschland.

Die Liebeserklärung an Stralsund gilt nach wie vor: am Ende diesen Jahres bin ich hundertprozentig glücklich im Heimathafen Stralsund. Da habe ich etwas gemeinsam mit der Gorch Fock 1, die auch nicht mehr auf große Fahrt geht und kleine Roststellen mit Würde trägt. Bald soll sie grundsaniert werden, das brauche ich zum Glück noch nicht. Aber sie ist auch schon fast 90.

Unterwegs im Norden
Eigentlich wollten wir in die baltischen Länder reisen, auch Schweden und Dänemark standen auf der Wunschliste. Aber neben der anhaltenden Pandemie hat uns der Krieg in der Ukraine verunsichert. Am 24.Februar morgens waren die Bilder der Panzerkolonne vor Kiew auf allen Nachrichtenseiten. Wir waren gerade in Ralswiek auf Rügen, ich werde den Tag nicht vergessen. Der Schrecken über diesen grausamen Krieg ist seitdem nicht geringer geworden.

Stattdessen haben wir den Norden Deutschlands erkundet, mit Ausflügen nach Neustrelitz, Ivenack, Kummerow, Loitz, Rostock, Hamburg und auf all die schönen Inseln: Usedom, Rügen, Hiddensee, und immer wieder Fischland und Darß.
Eine besondere Reise ging nach Kassel, zum Besuch der documenta. Das Künstlerkollektiv Ruang Rupa war mir aus der Zeit in Indonesien bekannt, und ich war gespannt auf die Ausstellung. Zwei Tage habe ich mit Freundinnen aus Jakarta, die jetzt in Berlin leben, Kassel durchstreift. Einige der Werke fanden wir faszinierend, andere nicht so toll. Die Aufregung in der Presse konnten wir nicht teilen. In einem Blogartikel über die documenta 15 habe ich meine Eindrücke beschrieben. Im Kunstverein Stralsund hat uns die documenta ebenfalls beschäftigt, wir haben dazu den Vortrag einer Expertin organisiert. Prof. Dr. Wierling hat die Ausstellung und die Debatten zeithistorisch eingeordnet.
Schreiben
Geschrieben habe ich eigentlich schon immer, aber 2022 wurde es ernst. Mit dem Buch von Doris Dörrie fing es an. Ein Online-Seminar im Februar zum Autobiografischen Schreiben mit Sven Rohde war der Durchbruch. Einige Wochen zuvor hatte ich an seinem Seminar für Kriegsenkel teilgenommen. In meiner Familiengeschichte sind der Krieg und die anschließende Vertreibung zentral. Im Seminar habe ich gelernt, dass es vielen so geht, und dass Schreiben hilft, damit umzugehen. Im März folgte ein Schreibworkshop mit Kristine von Soden in Ahrenshoop. Endlich schreiben…. war der Titel der ersten Aufgabe im Workshop, und schon füllte sich die Seite. Zwischendurch Spaziergänge am Strand, bei schönstem Frühlingswetter.

Aus dem Seminar mit Sven ist eine Schreibgruppe entstanden, wir treffen uns online monatlich. Wunderbare Mitschreiberinnen geben mir Mut und Inspiration. Ab Juni begann ich den Blog, ermutigt von der ‚Mutter aller Bloggerinnen‘ Judith Peters. Ihrem Rat ‚blog like nobody’s reading‘ bin ich gefolgt, und es haben dann doch einige den Blog gelesen. Sogar eine Freundin aus der Grundschule habe ich auf diese Weise wiedergefunden. Besser gesagt, sie hat mich gefunden.

Eine echte Mutprobe war es, autobiografische Texte im Blog zu veröffentlichen. Das hat gutgetan, und ich habe viel Zuspruch dafür erhalten. Das Schreiben geht weiter, in der Jahresgruppe mit Sven und vielleicht mit weiteren Workshops. Ich lasse es kommen.
Lesen
Lesen und Schreiben ist wie Einatmen und Ausatmen. Bücher liebe ich, solange ich denken kann. Angefangen hat es in der Berliner Stadtbücherei am Kottbusser Tor. Mein Berufsleben als Bibliothekarin war geprägt durch Bücher und Literatur. Die ersten Beiträge in diesem Blog hatten logischerweise das Lesen zum Thema. Ein Leben ohne Bücher ist für mich kaum vorstellbar.
So wurde auch der Entschluss, nach Stralsund zu ziehen, durch zwei wunderbare Buchhandlungen bestärkt. In der Verlagsbuchhandlung ‚Strandläufer‘ gibt es immer frische Bücher, die Inhaber schreiben selbst erfolgreiche Stralsund-Krimis und historische Romane. Die bisher beste Empfehlung dort war ‚Machandel‘ von Regina Scheer. Eine Familiengeschichte von Flucht und Ankunft in Mecklenburg, in der späteren DDR. Unbedingt lesen!

Die Buchhandlung in der Fährstraße bietet ‚Die besten Bücher‘ – wie soll man sich da entscheiden? Am besten gar nicht, sondern immer wieder beide besuchen. Zumal Bücher den (geistigen) Vitaminbedarf decken, wie das Schild im Fahrradkorb verrät: Bereits ein Buch enthält den Tagesbedarf an A, B, C, D und viele weitere lebenswichtige Buchstaben. Die bisher beste Empfehlung war ‚Die Alleinseglerin‘ von Christine Wolter. Eine echte Entdeckung, neu herausgegeben und schön gestaltet. Ein Handschmeichler.

Außerdem gibt es eine gut sortierte Hugendubel-Filiale, und die Stadtbibliothek, ebenfalls einer meiner Lieblingsorte in Stralsund. Die lesebegeisterte Stralsunder*innen treffen sich zum Literatur-Stammtisch und in einem 2022 gegründeten Literaturkreis Stralsund. Lesungen gibt es natürlich auch, in Stralsund und auf Rügen, dort veranstaltet von der großartigen Petra Dittrich, die ihren Buchladen nicht zu Unrecht ‚Das kleine Literaturhaus‘ nennt. Keine Ahnung, wie sie es seit Jahres schafft, die interessantesten Autor*innen nach Rügen zu holen.
…und wie geht es 2023 weiter?
Ganz einfach: weiter schreiben, beste frische Bücher lesen. Neue Programme und andere Aktivitäten im Kunstverein, und im Verein Kriegsenkel e.V. , wo ich vor Kurzem in den Vorstand gewählt wurde.
Es wird hoffentlich mehr Reisen geben, zum Beispiel nach Breslau in die frühere Heimat meiner Mutter. Und endlich nach Parchim, wo mein Vater herkommt. Das ist nicht so weit, aber irgendwie hat es nicht geklappt bisher. Nach Lübeck würde ich gern mal wieder, und weiter in den Norden. Das Malen möchte ich ernsthafter betreiben.
Dieser Blog wird weiter geschrieben, wie schon angekündigt mit diversen Beiträgen zum Thema ‚Alt werden und jung bleiben‘. Dafür habe ich mir den Titel ‚Jungbrunnen‘ ausgedacht. Wie findest Du ihn? Schreib mir gern in den Kommentaren.

Liebe Christel,
mir gefällt, wie Du schreibst. Die kurzen Absätze, bespickt mit den ansprechenden Fotos lassen mich gerne weiter lesen.
Ich werde öfter rein schauen.
Alles Liebe,
Sandy
Danke liebe Sandy für den schönen und ermutigenden Kommentar! Mein Fokus für dieses Jahr ist das ‚Gute Altern‘ – dazu gehört Yoga, ganz klar. Danke für Deine Hilfe beim guten Leben (und zum Guten Altern). Ganz herzlich, Christel
Ein verheißungsvoller Titel eines bereichernden Blogs! Stralsund muss mir ja nicht mehr schmackhaft gemacht werden, aber in deinen Beschreibungen blitzen zwischen den vielen tollen persönlichen Momenten andere, unbekannte Orte und Perlen auf, die wieder große Lust machen, in den Norden aufzubrechen.
Ganz herzliche Grüße!
Lieber Marius, danke für den schönen Kommentar. Ich freue mich schon auf Deinen nächsten Besuch, dann zeige ich Dir die Perlen. Herzliche Grüße!
Liebe Christel, ein schöner Rückblick und Zusammenfassung der wichtigsten Dinge in deinem gegenwärtigen Leben. Ich habe Anregungen für mein Tun entnommen. Literaturkreis HST, Kristin von Soden, Sven Rohde … schau ich mir an, denn auch ich schreibe intensiver als bisher. Es ist sehr ähnlich meinem bildnerischen Sehen und ich werde darin ermutigt. Wir sehen uns nächste Woche. Ich freue mich darauf. Gute Tage und viel Glück und Erfüllung für dich. Herzlich Christine
Liebe Christel, es ist sehr schön, auf diesem Weg etwas über dein ‚neues‘ Leben zu erfahren. Ich dachte mir immer, wie kommst du eigentlich auf Stralsund? Jetzt versteh ich es besser. Ich habe mir diese Gedanken, wo ich in der Rente leben möchte, nie gemacht. Ich bleibe einfach in Frankfurt… Melde dich doch mal, wenn du in unsere Gegend kommst. Liebe Grüße und ein gutes neues Jahr! Bärbel Becker
Liebe Bärbel, das ist eine Überraschung! Danke für Deinen Kommentar und ebenfalls alles Gute für das neue Jahr. Das Leben in Stralsund ist schön, nach all den Jahren in großen Städten ist es hier sehr entspannt. Die Umgebung ist kaum zu toppen: gestern hatten wir einen wunderbaren Neujahrsspaziergang am Weststrand von Ahrenshoop. Eine Stunde Fahrt ist das von hier. Falls Du mal vorbei kommen möchtest, melde Dich einfach. Sollte ich in der Frankfurter Gegend sein, sage ich Bescheid. Aber die Reisepläne für dieses Jahr gehen eher Richtung Norden. Ganz herzliche Grüße, Christel