Über das Alter

Betty Friedan
Betty Friedan

Lohnt es sich heute noch, die Bücher von Simone de Beauvoir und Betty Friedan zu diesem Thema zu lesen? Ein Selbstversuch.

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Simone de Beauvouir: Das Alter

‚Das Alter‘ erschien zuerst 1970, fast zwanzig Jahre nach dem bahnbrechenden Werk ‚Das andere Geschlecht‘. Die Autorin berichtet in der Einleitung, dass der Plan zu diesem Buch auf Unverständnis traf: Warum sie über ein so tristes Thema schreiben wolle, sie sei doch noch gar nicht alt… (zitiert nach der deutschen Taschenbuchausgabe, Rowohlt 2014). Sie hat sich zum Glück nicht abhalten lass, und so entstand ein komplexes Bild der Vorstellungen vom Alter seit der Antike. Die medizinischen und demographischen Fakten entsprechen der Entstehungszeit des Buches, vieles hat sich seitdem verändert.

Was hat sich verändert?

Der Bevölkerungsanteil der Menschen über 65 hat sich verdoppelt (2021 waren es in Deutschland 22 %, Quelle Statistisches Bundesamt), es wird mehr geforscht und es gibt zahlreiche Seniorenverbände, die für die Interessen alter Menschen eintreten. Doch das pessimistische Bild, das Simone de Beauvoir entwirft, hält sich, wenn auch abgeschwächt, noch immer. Sie sieht die Alten „verurteilt zur Armut, Einsamkeit, Krankheit und Verzweiflung“, abhängig von der jüngeren Generation. Ungefähr so, wie Dürer seine alte, schwer kranke Mutter zeichnete.

Albrecht Dürer: Bildnis seiner Mutter
Das Bild zeigt  die stereotype Darstellung einer alten Frau
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Albrecht Dürer: Bildnis seiner Mutter

Alter als kulturelles Phänomen

Beauvoir beschreibt das Alter als kulturelles Phänomen, das heißt es geht um den gesellschaftliche Stellenwert der Alten und das Bild des Alters in der Literatur, in der Kunst und in der politischen Diskussion. Dabei spart sie die materiellen Bedingungen nicht aus. Sie beklagt die zu geringen Renten der Arbeiter und kleinen Angestellten, dazu kommen hohe Mieten. Ein Problem bis heute, besonders für Frauen. Sie sieht die sozialen und die sexuellen Bedürfnisse alter Menschen, und spricht über Altersdepressionen und Alkoholismus im Alter.

Betty Friedan: Mythos Alter

Die Feministin Betty Friedan bezeichnete in ihrem Buch ‚Mythos Alter‘ (1995) die Pathologisierung des Alters als Fehler und betont die kognitiven, psychischen und sozialen Kompetenzen alter Menschen. Sie sieht in den Vorurteilen gegenüber den Alten „die gleichen Kräfte am Werk wie bei den Stereotypisierungen von Rasse und Geschlecht.“ (S. 152) Sie beschreibt das Alter nicht als Verfall, sondern als ein Teil der menschlichen Entwicklung, der Individuation. Das Alter bedeutet ihr auch eine Befreiung von Zwängen.

Betty Friedan / Quelle: womenshistory.about.com
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Betty Friedan / Quelle: womenshistory.about.com

Gibt es Hoffnung?

Simone de Beauvoir beschreibt die Alten nicht immer mit liebevollen Blick, aber sie sieht auch Hoffnung: „Der Ekel vor dem eigenen Körper nimmt bei Mann und Frau verschiedene Formen an, aber das Alter kann beiden dieses Gefühl einflößen, sodass sie sich weigern, diesen Körper noch für einen andern existieren zu lassen. Indessen gibt es eine wechselseitige Beeinflussung zwischen der Vorstellung von sich selbst und der sexuellen Betätigung: Der Mensch, der geliebt wird, empfindet sich als liebenswert. (S. 409-413)“

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Am See

Eine repräsentative Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2022 zeigt ganz aktuell den Wandel des Altersbildes: „Obwohl viele Befragte alte Menschen als gesundheitlich stark eingeschränkt, einsam und eher unflexibel wahrnehmen, scheint gleichzeitig die mittlerweile häufig propagierte Botschaft der Potenziale im Alter als „neues“ Altersbild in den Köpfen angekommen zu sein. Und es gibt weiterhin das klassische positive Altersstereotyp der Weisheit und Gelassenheit.“

Fazit

Es lohnt sich also, dem Ursprung dieser Bilder nachzugehen. Simone de Beauvoir bietet einen Querschnitt durch die Kulturgeschichte zu einem Thema, das jede*n von uns betrifft. Betty Friedan macht Mut zur Vielfalt.

Über weitere Hinweise auf lesenswerte Büchern über das Alter würde ich mich freuen. Schreibt mir gern in den Kommentaren.

Ein Kommentar

  1. Silvia Bovenschen – Älter werden
    „Bovenschens Essay beschreibt das Altern unsentimental, ohne zu schönen und zu dramatisieren. Heiterer geht es bei diesem Thema nicht.“ Harald Martenstein
    Ich mag deine Texte Christel.
    Grönland habe ich auch gerade gelesen.
    Ein Gruß von der einen Straßenseite zur anderen.
    Christine

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